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Abschied vom Gestern

AUFBRUCH ZU EINEM KLIMAFREUNDLICHEN LEBENSSTIL (TEIL 1)

Weltklimabericht

Zur Eindämmung der Klimakrise muss der absolute Ressourcen- und Energiebedarf sinken. Effizienzgewinne und der Zubau Erneuerbarer Energien reichen alleine nicht aus, um die CO₂-Einsparziele zu erreichen. Deshalb braucht es eine suffizienzbasierte Transformation, die uns mit neuen soziokulturellen Leitbildern motiviert, das gute Leben anders zu denken.

Wir müssen reden. Der aktuelle Weltklimabericht [hier] gibt uns maximal 10 Jahre um den Anstieg der Erderwärmung auf ein menschenerträgliches Maß zu begrenzen. Aber dringt dieser Weckruf gerade auch angesichts der Flutkatastrophe im Sommer zu uns durch? Gaben das Leid und die Zerstörung mit Schäden in Milliardenhöhe genug Anstöße, um grundsätzlich darüber nachzudenken, welch einschneidende Veränderungen in absehbarer Zeit nötig sind?

Im Frühjahr 2021 machte das Bundesverfassungsgerichts [hier] Furore, als es eine Nachbesserung beim Klimaschutz forderte. Bis 2030 sollen nun statt den ursprünglich geplanten 55% fortan 65% an CO₂-Emissionen im Vergleich zum Basisjahr 1990 eingespart werden. Diese Nachschärfung zeigt zweifellos in die richtige Richtung. Allerdings lautet die große Frage, ob wir die ambitionierten Vorgaben auch umsetzen können?

Überschwemmungen Ahrtal
Martin Seiffert, CC-Zero

Wie schwer das wird, zeigen folgende Zahlen: Während [hier] die CO2-Emissionen in den 31 Jahren zwischen 1990 und 2021 um ca. 40 % und 1,29 % pro Jahr schrumpften, müssen sich diese jetzt [hier] innerhalb von zehn Jahren bis 2030 um weitere 25 %, d.h. um 2,7 % pro Jahr reduzieren. Das entspricht einer Verdopplung der jährlichen Einsparung ab heute. Gefiltert nach Sektoren heißt das für die Mobilität 41 % Absenkung, die Energiewirtschaft 61 % und für den Gebäudebereich weitere 56 % (also von 120 auf 67 Millionen Tonnen CO2 Emissionen pro Jahr).

Erschreckende Stagnation beim Treibhausgas-Sparen

Im Moment gelingt es jedoch nicht einmal, das bisherige moderate Minderungstempo zu bedienen; statt der geplanten 40 % werden es für 2021 nur 37 % Einsparungen an Treibhausgas (THG) sein. Dass Deutschland immer mehr in Rückstand zu den eigens beschlossenen Klimaschutzzielen gerät, erkannte gerade erst Robert Habeck [hier] in seiner Klimaschutzbilanz für die letzte Bundesregierung. Die aktuelle Zusammenfassung [hier] zeigt, dass sich augrund der allgemeinen Untätigkeit die jährlichen Klimaschutzbemühungen nun sogar verdreifachen müssen! Habeck kündigte vorsichtshalber schon einmal an, dass wir die Klimaschutzziele 2022 und 2023 wohl auch verfehlen werden. Ein Weckruf hört sich anders an!

CO2 Emissionsentwicklung Deutschland
Quelle: BMUV

Im Sektor Bauen und Wohnen sinken die Emissionen seit 2014 kaum noch. Die Wohngebäude verbrauchen dabei den größten Batzen mit 10% des gesamtdeutschen THG Volumens von 739 Mio. Tonnen im Jahr 2020. Besonders energieintensiv sind die 80% der vor 1990 errichteten Altbauten. Hauptsächlich liegt diese Stagnation an der überwiegend fossilen Beheizung (50% Gas und immer noch 25% Ölheizungen) und der [hier] sehr niedrigen energetischen Sanierungsrate von weniger als 1% im Jahr . Das ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt wie teuer Sanierungen sind. Eine Studie der DZ-Bank veranschlagt sie mit durchschnittlich 40.000 Euro pro Wohneinheit (DZ-Bank Research (2021) : Sustainable Investments – Immobilien. Der Klimawandel als Herkulesaufgabe). Zudem verspüren die oft mit ihren Häusern gealterten Bewohner wenig Lust, das komplexe Unterfangen zu beginnen und überlassen die Sanierung der nächsten Generation. Aber auch unzureichende energetische Neubaustandards haben eine Bremswirkung auf die CO2–Einsparung; das Effizienzhaus 40 wird erst 2025 Pflicht.

Rebound Effekt

Rebound-und Komfort-Effekte vernichten Effizienzgewinne

Darüber hinaus vernichtet der Re-Bound [hier]- oder Bumerang-Effekt [hier] etwa 25% der Effizienzgewinne. Es geht dabei um das zentrale Problem, dass Einsparungen, etwa bei Energie oder Kosten, sofort wieder anderweitig verbraucht wird. Ein Beispiel sind die immer wuchtiger werdenden Autos, die aus der Spriteffizienz ihrer Motoren ein Nullsummenspiel machen. Rebound-und Komfort-Effekte treten auch auf, wenn immer größere Wohnungen den Einsatz sparsamer Haushaltsgeräte, Heizungen und LEDs konterkarieren. Statt 35 qm Wohnfläche im Jahr 1991 beanspruchen die Deutschen [hier] dreißig Jahre später schon 47 qm. Das Bundeswirtschaftsministerium erläutert dazu, dass „der Trend zu mehr Haushalten, größeren Wohnflächen und weniger Mitgliedern pro Haushalt“ [hier auf S. 35] einen hohen absoluten Energieverbrauch für Heizung, Strom und Warmwasser nach sich zog. Dieser Trend wird durch das von der Corona-Pandemie zusätzlich getriebene Bedürfnis nach ausreichend Platz zu Hause, auch mit Blick auf Home-Office-Optionen, verstärkt. Energieeffizienz bleibt demnach ein stumpfes Schwert nach dem Motto „wie gewonnen, so zerronnen“.

Wirtschaftswachstum

Suffizienz unterstützt zwar die Energieeffizienz, aber….

Die Wachstumsorientierung als zentrale Antriebskraft hinter unserem Wirtschaftssystem zeigt sich beim Rebound-Effekt von ihrer negativen Seite und macht dem guten Einspargedanken ständig einen Strich durch die Rechnung. Es fehlt die klimafreundliche Leitidee. Schon 1993 schrieb der Soziologie Wolfgang Sachs: „Einer naturverträglichen Gesellschaft kann man in der Tat nur auf zwei Beinen näherkommen: durch eine intelligente Rationalisierung der Mittel wie durch eine kluge Beschränkung der Ziele. Mit anderen Worten: die „Effizienzrevolution“ bleibt richtungsblind, wenn sie nicht von einer „Suffizienzrevolution“ begleitet wird.“ Suffizienz, das bedeutet die bewusste Reduktion des Alltagskomsums nach der vier „E“-Regel: Entschleunigung, Entrümpelung, Entflechtung und Entkommerzialisierung. Angestrebt wird ein Leben nach dem rechten Maß getreu Mahatma Gandhis Motto „There is enough in this world for everyone‘s need but not for everyone’s greed.” („Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.”) Als Gegenmittel gegen den Rebound-Effekt ist Suffizienz die sinnvolle Zweckbestimmung zur absoluten Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs. Aber der Begriff und die dazu gehörige Lebenspraxis haben den unbeliebten Beigeschmack der Selbstbeschränkung.

Ökostromausbau Deutschland
Quelle: BEE Szenario 2030, S.15

Unser enormer Energiehunger und der lahmende EE-Ausbau

Stattdessen wird die Aufrechterhaltung des jetzigen Lebensstils mit den Argument verteidigt, die erneuerbaren Energien würden es schon richten, da Sonne und Wind im Überfluss vorhanden seien . Das stimmt zwar, aber mehrere wichtige Herausforderung bleiben bei diesem Gedanken unerwähnt: Um eine Ökostromvollversorgung der EU über Windparks an Land und Solaranlagen zu erreichen, braucht man [hier] in etwa die Landfläche von Portugal. Außerdem kann die Ökostromproduktion im Zusammenhang mit dem Energiehunger aller Sektoren nicht mithalten. Schon gar nicht in einer Ausbaugeschwindigkeit von nur 9 Jahren. Schließlich müssen hier auch die fossilen Treibstoffe zunehmend elektrifiziert werden. So sollen bis 2030 beispielsweise sieben Mio. Wärmepumpen installiert werden, 13 Mio. Elektroautos (von der Ampelkolation auf 15 Mio. hochgesetzt) auf den Straßen rollen, 20% mehr Personen- und 40% mehr Güterzüge fahren sowie 55 TWh Strom durch Bioenergie neu hinzukommen (siehe Grafik oben). Dadurch, dass wir vor allem im Winter nicht alle fossilen Heiz- und Treibstoffe Elektrifizieren können ist es übrigens eine unzulässige Verkürzung in der aktuellen Energiewendedebatte vom Zubau erneuerbarer Energien ganz allgemein zu sprechen wenn es ausschließlich um den Zubau von Ökostrom geht. Durch diese Verkürzung wird der ungeheure Energiehunger an Wärme- und Bewegungsenergie verkannt den wir Stand heute nicht erneuerbar ersetzen können.

Um das Minimalziel des Bundes und der EU von 65% Ökostrom in 2030 zu erreichen, müssten 484 TWh Ökostrom erreicht werden. Legt man ein realistisches Ausbaupotential anhand des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu Grunde, werden 2030 laut EWI [hier] nur 345 TWh Ökostrom oder 46 % erreicht, der BEE schätzt [hier] 51%. Das 65% Ziel bleibt damit in weiter Ferne. Und dann haben wir noch nicht über Planungsverzögerungen und Anwohnerproteste gesprochen [hier auf S.25].

Umsetzungsdefizit beim Klimaschutz durch zu schwachen gesellschaftlichen Impuls

Die Zahlen zeigen unmissverständlich, dass die erforderliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch technologische Maßnahmen in der Kürze der Zeit allein nicht klappen wird. Viele Menschen ahnen schon, dass zusätzliche suffizienzbasierte Verhaltensänderungen nötig werden. Bisher handeln aber nur wenige entsprechend. Wie aber lässt sich das ändern?

In einer im Frühsommer veröffentlichten Studie (Stammer, D.; Engels, A.; Marotzke, J. et alii; 2021.Hamburg Climate Futures Outlook (CLICCS)) der Universität Hamburg untersuchten Wissenschaftler erstmals die soziokulturellen Umsetzungschancen technisch vorhandener CO2-Minderungspotentiale. Sie zeigen auf, dass die Einhaltung des in Paris vereinbarten 1,5-Gradziels unwahrscheinlich sei, weil vor allem die Bürger*innen auf ihren anspruchsvollen Konsumgewohnheiten beharrten und die Wirtschaftsbetriebe auf Veränderungen skeptisch reagierten. Der Impuls für gelebten Klimaschutz ist demnach zu schwach; die Menschen sind in ihrem Alltagsverhalten noch nicht bereit für den nötigen Wandel. Dies wird in der Studie aber nicht als individueller Unwille gesehen, sondern als Folge einer auf Massenkonsum eingestellten Wachstumsgesellschaft, die noch keine substantiellen neuen Weichenstellungen vorgenommen hat.

Maja Göpel

Der notwendige Abschied von alten Leitbildern

Die von Anton Hofreiter ausgelöste Eigenheimdebatte vom Februar 2021 ist dafür ein gutes Beispiel. Eigentlich hatte er nur die zukunftsweisende Entscheidung aus Hamburg-Nord begrüßt, Einfamilienhäuser aus ihren Bebauungsplänen zu streichen. Denn der über Jahrzehnte antrainierte deutsche Bausparkassenwerbetraum ist in jeder Hinsicht klimaschädlich: Siedlungen auf der grünen Wiese erzeugen [hier] den sogenannten „Donut-Effekt“. Sie führen zu unverhältnismäßig hoher Flächenversiegelung, zu Material- und Energiemehrverbrauch, außerdem müssen zusätzliche Straßen, Kanäle und Versorgungsleitungen angelegt werden. Aber ähnlich wie beim Veggie-Daydisput griffen sofort empörte Verbotsvorwürfe.

Jetzt mal ehrlich: wollen wir wirklich auf einer ungebremster Wahlfreiheit bei der Bedürfnisbefriedigung beharren, die die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen vorantreibt? Unsere in der gebauten Infrastruktur materialisierten Lebensideale sind dysfunktional geworden. Sie behindern die Transformation hin zu einer energie- und ressourcenleichten Gesellschaft. Dazu sagt die Transformationswissenschaftlerin Maja Goepel: „Eine Wirtschaftsweise, die in einer begrenzten Welt mit endlichen Ressourcen auf stetes Wachstum setzt, ist nicht nachhaltig. Es gilt neu zu verhandeln, was den Wohlstand der Menschen übermorgen ausmacht. Dafür brauchen wir neue Begriffe und Konzepte, (…). Planetenzerstörung darf nicht mehr Wachstum heißen.“ (Goepel, M; 2020. Unsere Welt neu denken. Eine Einladung. Ullstein, Berlin).

Maja Göpel

Suffizienz braucht soziokulturellen Wandel

Wie aber steht es um klimafreundliche Leitbilder, die nicht gleich sauer nach Verzicht schmecken? Eine Expertengruppe der OECD unterbreitete [hier] unlängst Reformvorschläge „Beyond Growth“ die das Wirtschaftswachstum unter das Primat der Prinzipien Umweltverträglichkeit, Steigerung des Wohlbefindens, Rückgang sozialer Ungleichheit und Widerstandsfähigkeit des Systems stellten. Dazu gehört ein Lebensstil, dessen Orientierungsmarken aus einer verbesserten Luftqualität, erholter Natur, reduziertem Verkehrslärm, kurzen Arbeitswegen sowie neue Formen des sozialen Miteinanders bestehen.

Unter dieser Perspektive erhält Suffizienz eine neue Bedeutung. Sie zeigt sich als Teil des soziokulturellen Wandel hin zur künftigen neuen Normalität. Der Umstieg aufs Fahrrad und auf vegetarische Mahlzeiten in den Kantinen sind hierfür Beispiele. Was allerdings lahmt, ist der aktive Einsatz von Staat und Wirtschaft für eine gesamtgesellschaftliche Einstellungsänderung, sei es bei der Formulierung alternativer Wohlstands- / Wohlfühlziele oder dem Aufbau neuer Infrastrukturen. In dieser Hinsicht können wir von der Corona-Krise viel lernen. Sie zeigt uns einerseits, wie schwer wir uns damit tun, den gewohnten Alltag zu verlassen. Wie lange hat es beispielsweise gedauert, bis das Tragen effektiver medizinischer Masken zur Selbstverständlichkeit wurde? Andererseits macht sie deutlich, wie schnell drastische Veränderungen möglich sind, wenn Bürger und Staat effektiv ein gemeinsames Ziel voranbringen wollen. Wenn wir den Klimawandel eindämmen wollen, müssen wir eine effektive Immunantwort auf das Wachstumsvirus entwickeln. Gefühlte Einschränkungen werden dazugehören. Aber wir können auch viel dabei gewinnen. Wie und was genau, davon handelt Teil 2 dieser Artikelminiserie, in dem es um neue Wohnformen geht, die den soziokulturellen Wandel heute schon beschreiben können.

Die Autoren:

Marian Bichler und Benjamin Holtz

 

Beiträge zur Suffizienz auf dem Atum Blog:

B. Holtz: "Das Maß der Dinge für eine lebendige Welt": Blogbeitrag vom 18.04.2021

M. Bichler: "Aufbruch in eine neue Genusskultur." Blogbeitrag Suffizienz 1 von 4

M. Bichler: "Weichenstellung für die klimaneutrale Zeitenwende." Blogbeitrag Suffizienz 2 von 4

M. Bichler: "Beispielhaft für ganz Europa: Das ecovillage kronsberg in Hannover." Blogbeitrag Suffizienz 3 von 4

M.Bichler: "Neue Wohnformen braucht das Land." Blogbeitrag Suffizienz 4 von 4

M.Bichler und B.Holtz: "Wie wohnen wir zukünftig zusammen? Aufbruch zu einem klimafreundlichen Lebensstil (Teil 2)." Beitrag GEB 11.2021 im Gebäudeenergieberater

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