Green Deal der EU: Aus dem Takt mit der Natur geraten.
Agrarsubventionen verpassen die Grüne Wende
Durch einen Blick in die Biodiversitätsstrategie bzw. den Green Deal der EU Kommission wird deutlich, dass hier sehr sinnvolle Elemente für eine neue Kultur der Lebendigkeit verankert sind. Mit umso größerer Bestürzung habe ich festgestellt, dass aktuelle Beschlüsse der EU zur Agrarpolitik ein ganz anderes Bild zeigen. Denn der Sinn für nachhaltige Produktion und Konsum wird darin durch fatale Subventionen für eine ungebremste Ausbeutung der Natur fehlgeleitet. Um den Abschied von der Konsumkultur zu schaffen, sollten wir sofort ganz andere, wirtschaftliche Anreize setzen die das Lebendige in der Natur bewahren.
Noch mehr Geld und Technik kann diesen Anreiz nicht schaffen. [Blog vom 10.06.2020]. Vielmehr verschärfen sie die ökologischen Krisen weiter, da sie die Ursachen und nicht die Lösungen des Problems darstellen. Das Geld bekommt nach dem beschlossenen Agrarabkommen der, der ohnehin schon am meisten hat. Technik verschärft den Wahn nach weiterer Effizienz und danach, noch mehr zu produzieren und konsumieren zu müssen. Eine Lenkungsfunktion hin zu einem Grünen Agrarabkommen kann nur gelingen, wenn neue, politische Strukturen und Handlungspfade für eine nachhaltige, sinnvolle Wirtschaft vorgegeben werden.
Die aktuelle Entscheidung des EU Parlaments, bzw. der Agrarminister, 387 Milliarden Euro an Agrarsubventionen erneut „flächenabhängig“ zu verteilen unterstreicht diese These. Gemäß unserem industriellen Verständnis von Größe = Stärke = Systemrelevanz sollen mächtige, europäische Agrarbetriebe umso mehr Geld bekommen, je mehr Ackerfläche sie besitzen.
Obwohl für 94 % der Bürgerinnen und Bürger in allen EU-Mitgliedstaaten der Umweltschutz wichtig ist und 83 % der Befragten sagen, dass dazu europäische Rechtsvorschriften erforderlich sind, wird dies offenbar von der EU nicht wahrgenommen bzw. umgesetzt. Es sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass es sich hier um Subventionen handelt, die eine Lenkungsfunktion z.B. für den Green Deal haben sollten, wenn die EU es denn wirklich ernst meint mit diesem Vorhaben.
Im aktuellen Agrardeal gibt es kaum eine Lenkung dahin, dass klima-, umwelt- und qualitätsbewusster gearbeitet wird. Ein schwer wiegender Fehler, denn die Landwirtschaft trägt mit mehr als 10 Prozent zu den EU-Treibhausgasemissionen bei und bietet auf ihren Feldern immer weniger Schutzraum für Pflanzen und Tiere. Die Biodiversitätsstrategie der EU fordert eigentlich 10 % dieser Regenerations- und Schutzräume „mit Landschaftselementen großer, biologischer Vielfalt“ (Brüssel, 2020). Zudem sollen eigentlich „Ein Viertel der landwirtschaftlichen Flächen bis 2030 ökologisch/biologisch bewirtschaftet und die negativen Umweltauswirkungen des Agrarsektors bis dahin erheblich verringert werden“ (Brüssel, 2020).
Trotz dieser Vorgaben sollen es nach jetzigem Stand der Geld- und Machtverteilung im Agrarsektor nur noch 5 % Schutzräume geben. Und nur 20 % der 387 Milliarden sollen überhaupt an die Einhaltung von Umweltstandards gekoppelt sein. Diese Umweltstandards gibt es jedoch in der EU nicht. Wie die EU es schaffen will, unter diesem Verteilungsschlüssel ein Viertel der Fläche bis 2030 nachhaltig zu bewirtschaften und „dieses Ziel fortlaufend zu überprüfen“ (Brüssel, 2020) bleibt rätselhaft. Denn die anachronistisch anmutenden Agrarsubventionen sollen bis 2027 (!) festgeschrieben werden.
Auf den Punkt der Subventionspolitik der EU gebracht ist es so, dass nach wie vor Subventionen für große Agrarbetriebe gezahlt werden, die mit schweren Maschinen und teurem, giftigem Dünger den Großflächenanbau ohne nennenswerte, „unproduktive“ Brachflächen in der EU vorantreiben. Dazu bekommen sie den größten Haushaltsanteil der EU. Diejenigen dagegen, die extensiver anbauen und sich für das Tier- und Pflanzenwohl einsetzen, werden nicht belohnt. Und das, obwohl die EU errechnet, dass „der ökologische/biologische Landbau 10–20 % mehr Arbeitsplätze pro Hektar schafft, als herkömmliche landwirtschaftliche Betriebe bieten.“ (Brüssel, 2020). Im letzten Blogbeitrag habe ich über das leblose, mechanistische Weltbild gesprochen, das diesem Irrsinn zugrunde liegt. Die Ideologie dieses Weltbildes treibt heute auch die Traktoren und Fließbänder der Agrarbetriebe mit pausenloser, fossiler Arbeitsenergie an.
Gemessen an der Tragweite der Entscheidung der EU erklärt der WWF, dass die Reform "zur Katastrophe für Natur- und Klimaschutz" gediehen ist. Und das, obwohl die EU empfiehlt, unser Leben „in Übereinstimmung mit der Vision der Vereinten Nationen zu bringen, bis 2050 ‚im Einklang mit der Natur‘ zu leben. Dazu soll sich die EU zum Grundsatz des ‚Netto-Gewinns‘ verpflichten, um der Natur mehr zurückzugeben als sie nimmt. Der Mensch solle dazu möglichst kein Aussterben von Arten verursachen.“ (Brüssel, 2020)
Dieser Kontrast zwischen dem „ Ist der Subventionen“ und dem „Soll des Green Deals“ macht deutlich, dass politisch- / wirtschaftliche Entscheidungs- und Planungsprämissen ein irrsinniges Handeln darstellen [Blogartikel vom 28.04.2020], die die Einhaltung sämtlicher Nachhaltigkeits-, Klima- und Artenschutzziele heute schon unmöglich machen. So stellen der „Green Deal“ und die „EU-Biodiversitätsstrategie für 2030“ ein Täuschungsmanöver dar.
Grundlegend für deren Umsetzung wäre es, den Irr-Sinn der Industrie-, Konsum- und Bewegungskultur hinter sich zu lassen. Dazu will die EU ja selber „die Abschaffung von Zuschüssen, die für die Natur schädlich sind“ (Brüssel 2020). Sehenden Auges setzt sie stattdessen mit ihrer Subventionspolitik den Trend zum Ausschlachten der Natur fort, der bereits von „1997 bis 2011 Ökosystemdienstleistungen im Wert von schätzungsweise 3,5–18,5 Billionen EUR pro Jahr durch Änderungen der Bodenbedeckung und schätzungsweise 5,5–10,5 Billionen EUR pro Jahr durch Landverödung kostete.“ (Brüssel 2020)
Während die Wildbeuter und Landwirte in Kontakt mit der Natur lernten mit ihr zu schwingen (ob sie das gut fanden oder nicht spielt hier keine Rolle) und mit den begrenzten Ressourcen zu (über)leben, steuern wir heute auch in der Agrarindustrie auf eine ökologische Tragödie durch das wirtschaftliche Prinzip der Nutzenmaximierung und permanenten Extraktion von Ressourcen zu. Die landwirtschaftliche Produktion kennt scheinbar heute keine Endlichkeit, natürliche Zyklen und (Ruhe-) Phasen der Natur.
Es ist unnatürlich geworden, Pausen zu machen und dabei zeitweise eine Begrenztheit von Energie und (landwirtschaftlicher) Produktion zu akzeptieren. Die Natur, die auch in Erneuerbaren Energien steckt, meint nichts anderes, als Hoch- und Tiefphasen in der Energieintensität zu durchlaufen. In Hochphasen ist viel Energie vorhanden. In Tiefphasen wenig. Hier erneuert sich die Energiequelle aber und kommt später mit gleicher Kraft wieder zurück. Ohne Verschleiß! Dieses Wirkprinzip sollte man auch auf modernen, ökologischen Landbau übertragen. Denn dieser muss die Funktionsprämissen der Erneuerbaren Energien in vielfältiger Art & Weise berücksichtigen, damit die Ernte nachhaltig ist und die Pflanzen auch in 20 Jahren noch Früchte tragen können.
In einem Beitrag zur Coronakrise am 17.05.2020 habe ich den stetig wachsenden (emotionalen) Un-Wohl-Stand in der Bevölkerung aufgrund dieser Entwicklung angesprochen. Wir Menschen fühlen diesen Verlust und wollen - so zeigen die Statistiken oben - handeln. Unsere Natur ist es zu Leben und Leben zu erhalten. Dementsprechend wollen wir nachhaltig Produzieren und Konsumieren. Dieser Un-Wohl-Stand steigt jedoch mit den Agrarbeschlüssen der EU von oben weiter an.
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es für unseren gesellschaftlichen Wohl-Stand ungesund ist, wenn wir mal nicht wachsen und weniger konsumieren. Denn in Ruhe- und Schrumpfungsphasen können wir uns mehr um uns und das Leben in unserer Umwelt kümmern. Das zält sicher gerade jetzt in Zeiten des Klimawandels. Weniger (Konsum) bedeuten mehr (Klima- bzw. Naturschutz). Unser Konsum ist für 40% unseres CO2 Fußabdrucks verantwortlich.
So wie wir Menschen nachts regenerieren, wenn unser Immunsystem besonders hart arbeitet, um Krankheiten zu bekämpfen, können sich Gesellschaften in unproduktiveren Phasen stärken, da hier z.B. der Egoismus des Einzelnen durch Empathie für andere, schwächere ersetzt wird. Es gibt viele historische Beispiele dafür, die dieses Sozialverhalten belegen.
Es ist falsch, am Segen der Konsum- und Bewegungskultur festzuhalten. Die Kultur der Lebendigkeit stellt den maßvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen incl. Regenerations- und Ruhephasen ins Zentrum des gesellschaftlich- wirtschaftlichen Handelns. Dieser kulturelle Wechsel verbindet uns Menschen wieder mit der Natur, um gemeinsam zu regenerieren und in eine hoffnungsvolle Zukunft zu blicken. Im Ausbleiben einer wirklich nachhaltigen Agrarreform wird deutlich, dass die lobbygetriebene Agrarpolitik der EU den Sinn und auch die unbedingte Notwendigkeit dieses kulturellen Wechsels nicht verinnerlicht hat.
Trotzdem möchte ich mit einem hoffnungsvollen Zitat der EU zur Biodiversitätsstrategie 2030 enden. Demnach ist sie „ein umfassender, systemischer und ehrgeiziger langfristiger Plan zum Schutz der Natur und zur Umkehr der Verschlechterung der Ökosysteme, der den Rückgang vieler Arten und Lebensräume zu Lande und im Meer umkehrt und sie wieder in einen gesunden Zustand versetzen.“
Packt es endlich an! Eine neue Kultur der Lebendigkeit erfordert entschlossenes und mutiges Handeln darin, Macht, Geld und Technik so NEU zu verhandeln und zu verteilen, dass nachhaltiges Wirtschaften - mit ausreichend Schutzräumen für die Natur - möglich wird. Ein Grünes (Agrar-)Abkommen ohne den Takt der Natur zu berücksichtigen ist irrsinnig und enstpricht einem taktlosen Maschinendenken.
Ihr
Benjamin Holtz
Quellen:
Fromm, Erich (1976): Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft
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