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Industrie 4.0: Der Ausverkauf des menschlichen Geistes?

Ansätze einer Organisation der Lebendigkeit

Smart Industries

Um nachhaltig Leben und Wirtschaften zu können müssen wir unser Organisationsverständnis ändern. Unternehmen der 1.-3. Industrialisierung betrieben eine gnadenlose Ausbeutung von Menschen und materiellen Ressourcen. Getrieben vom gleichen industriellen Geist der Macht und des Geldes sind wir drauf und dran, neben unserer Arbeitskraft und Bodenschätze nun auch unsere Daten und unser Wissen ausbeuten zu lassen. Um dies zu stoppen müssen wir Unternehmen formen, die das Wissen verantwortlich über einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn organisieren.

Die Ausbeutung der Erde ist von uns Menschen organisiert. Deshalb ist es wichtig, die Logik von (Wirtschafts-)Organisationen genau zu verstehen. In einem früheren Beitrag machte ich bereits Geld, Macht als die zentralen Kontrollfaktoren aus, die die Unternehmen der 1. bis 3. industriellen Revolution prägten [Blogbeitrag vom 06.10.2020]. Der Mensch war als Lohnarbeiter vorgesehen, während Unternehmer sich die Macht und das Geld top-down sicherten. Durch den Mythos von Glück und Freiheit durch Konsum und Mobilität wurden Angestellte bei der Stange gehalten. Eine ruhelose Konsum- und Mobilitätskultur durch die Schaffung immer neuer, künstlicher Bedürfnisse stand sinnbildlich für den epochalen Wirtschaftsliberalismus.

Autonomes Fahren

Die seit den 2000ern stattfindende Digitalisierung wird fälschlicherweise als 4. industrielle Revolution bezeichnet [Blogbeitrag vom 06.10.2020]. In der ‚Industrie‘ von heute geht es nicht mehr primär um effiziente, materielle Formung von Produkten, sondern um digital vernetzte, immaterielle Wissensproduktionen. Während früher das Wissen um Fertigungsstraßen herum gesammelt und angewandt wurde und somit dem Produkt 'implizit' war, kehrt sich heute die Priorisierung herum. Im Autobau wird z.B. heute um den Steuerungschip herum gebaut. Erst das 'explizite', ungebundene Wissen, dann das Auto. Ein Beispiel dafür ist die Elektro-Auto Sparte von Tesla. Die Überlegenheit von Tesla liegt nicht auf mechanischer oder fertigungstechnischer Ebene. Hier wäre der Vorsprung einfach aufzuholen. Entscheidend ist das Wissen bzw. die überwältigende Intelligenz der Tesla-Steuerungschips bzw. Bordcomputer. Diese Komponenten sichern nicht nur die Funktionalität der Fahrzeuge mit einer hohen Reichweite, sondern vernetzen sie über Datenclouds mit vielen anderen Tesla Autos. Über die Tesla Zentrale und diverse (Tesla) Datensatelliten können Updates auf den Bordcomputern der Autos gemacht und ganz nebenbei auch auf Autopilot geschaltet werden. Zusammengenommen bringt es einen Technologievorsprung der - so sagen selbst Chefentwickler von BMW - über die nächsten Jahre nicht aufzuholen ist. Die Materielle, stoffliche Ebene macht den Unterschied nicht mehr aus. Es ist die Intelligenz des vernetzten Wissens zum autonomen, fremdgesteuerten Fahren.

Industrielle Revolution

Ein entscheidender Unterschied von der maschinellen, industriellen Fertigung zur Wissensproduktion ist die Entgrenzung durch die Loslösung des Wissens von der materiellen Produktion in engen Unternehmensgrenzen. Während Unternehmen früher die Rohstoffe, Arbeiter und Fertigungsstraßen `besaßen`, wird Wissen heute als zentraler Rohstoff unserer Zeit in digitalen Medien über Individuen, Unternehmens- / Länder- und Politikgrenzen und inhaltlichen Bezüge hinweg gesammelt, produziert und verkauft. Daß dieser Paradigmenwechsel weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich angekommen ist, zeigt sowohl das Scheitern einer dezentral organisierten Energiewende und dem e-Autodesaster, als auch die schleppende Entwicklung der digitalen Schule und zum Homeoffice in der Coronakrise. Arbeits- und Wissensräume entgrenzen sich überall auf der Welt unaufhaltsam! In Deutschland eher sehr schleppend. Mein Eindruck ist, dass das etwas mit der Angst vor dem Verlust der bisher zentralistisch organisierten Macht in Industrieunternehmen und Volksparteien zu tun hat.

Fakt ist, dass das Individuum und sein Wissen über diejeweilige Kultur- bzw. Gesellschaftsgrenzen hinaus in neuartigen „Suprainstitutionen“ privatwirtschaftlich organisiert wird, wodurch die Durchökonomisierung unseres individuellen und politischen Lebens eine nie dagewesene Dimension bekommen hat. Google ist wohl die bekannteste Institution neuen Schlages, die alle Fesseln der Begrenztheit gesprengt hat. Es gibt kein politisches Kontrollregime mehr, das dieser Unternehmensform Einhalt gebieten kann. Hier werden Daten aus dem individuellen, sozialen, kulturellen und politischen Leben der Nutzer weltweit gewonnen und zu digitalen Wissensprodukten verwurstet und verkauft. Die aktuell gehypten FinTechs sind nichts anderes als Unternehmen, die vernetzte Datenclouds gefüllt mit aus dem Kontext gerissenen Nutzerdaten zu „Finanz-Beratungszwecken“ (miss-) brauchen. Ähnlich funktionieren Social-Media Plattformen wie Facebook und Instagram, die Marktplätze sind, auf denen Wissen zu den Nutzern und deren Verhalten verkauft wird.

Digitale Medien

Entscheidend ist der Blick auf den Umgang mit dem gehandelten Wissen. Aktuell operieren digitale Suprainstitutionen nach dem gleichen, fossilen Denken alter Industrien, die auf zentraler Macht, Geld und Kontrolle des Menschen beruhen. Durch die digitale Vernetzung von Menschen gelingt das sehr effizient. Das gefährliche an diesen Institutionen (und auch an der künstlichen Intelligenz) ist jedoch nicht die weltumspannende Vernetzung oder deren übermenschlicher Intelligenz, sondern der unkontrollierte, machtbezogene Sinn, der der Programmierung der Systeme zugrunde liegt.

Für den Machterhalt wird der Mensch wie in der Industrialisierung auch in der digitalen Welt in einen Dauerzustand der Scheinfreiheit versetzt. Marketing genauso wie Lobbyismus - als dominanteste Kommunikationsformen in der Industriekultur - dienen dazu, `freie‘ Individuen und Parteien zu Konsumenten zu domestizieren. Digitale Medien haben diese strategische Beeinflussung durch vollkommen synthetische Medienangeboten perfektioniert. Digitale Medienhäppchen sind für jeden Nutzer zugschnitten und lassen eine Unterscheidung zwischen authentischen Inhalten und Fake (zu Werbezwecken) gar nicht mehr zu (N.Schick, 2020). Die (Werbe-)Botschaft entsteht gar nicht mehr im Auge des Betrachters, sondern nur noch im Gestaltungssinn des Mediums. Die Illusion (der Freiheit) ist scheinbar perfekt vorgespielt.

Donald Trump

Doch die Illusion zerplatzt derzeit in einer Fülle von gesellschaftlichen Schockerlebnissen. Menschen geraten immer mehr zum Spielball von Macht und Beeinflussung. Durch den zunehmenden Un-Wohl-Stand [Blogbeitrag vom 17.05.2020]geraten sie immer mehr in die Fänge von Machtmedien und -menschen, die antidemokratische, autokratische und diktatorische Gesellschaftsformen im Auge haben. Zahlreiche Wahlen (D. Trump Wahl 2016 und von J. Bolsonaro 2019, Brexitreferendum 2016, etc.) sind nachweislich durch ausgeklügelte Algorithmen der Täuschung und durch Verbreitung von Lügen auf Facebook gezielt beeinflusst und der Ausgang dadurch entscheidend verändert worden. Ungetüme wie die Trumjohnaros [Blogartikel vom 01.07.2020] kamen so an die Macht (N.Schick, 2020). Statt mit unseren 5 Sinnen also frei und „sinn-voll“ zu leben, verfangen wir uns immer mehr auf Kanälen digitaler Unternehmen des alten und neuen Industrieregimes, das seit der Digitalisierung stärker auf Macht und Kontrolle basiert als je zuvor.

Dieser Schein der uns trügt liegt an einer falschen Einschätzung uns selbst gegenüber. Seit der französischen Revolution streben wir vergeblich nach persönlicher Freiheit (neben Brüderlichkeit und Gleichheit die 3. zerfallende Säule unserer westlichen Kultur). Denn wenn wir Freiheit erreicht hätten, würden wir uns sicher nicht frei-willig unserer eigenen Lebensgrundlage durch weltweiten, öko-logischen Kahlschlag berauben und uns immer tiefer in den Abgrund konsumieren.

Lebensbaum

Um das zu ändern müssen wir uns unserer Unfreiheit bewusst werden und uns daraus befreien. Wir sollten uns Besinnungsräume (z.B. in der Natur) schaffen, in denen wir uns unserer Sinne bewusst werden, sie lernen zu schützen und sie mit Lebendigkeit aus uns selbst heraus füllen. Dies entsteht auch in Räumen, die sich durch Meditationspraktiken öffnen. Hier lernen wir mit geschlossenen Augen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Durch den Ausschluss von Medien und der Konzentration auf das Hier und Jetzt wird uns unsere individuelle Stärke, Begabung und das Selbst-bewusst. Dadurch können wir uns von der Macht der äußeren Beeinflussung abkoppeln.

In der Kultur der Lebendigkeit rückt die Einführung einer dritten Form der Güterproduktion in den Fokus. Statt dem Dualismus der Industriekultur aus (1) Privatem und (2) Öffentlichem zu folgen, entsteht das (3) Gemeinsame als neues Organisations- und Produktionsprinzip. Man spricht hier auch von einer Multitude (A. Negri, 2004). Unterstützt wird das Gemeinsame zukünftig von einem neuen Wirtschaftsgeist des Teilens und der Co-Existenz. Dieser schließt zerstörerische, egoistische Interessen weitestgehend aus, durch die nur eigene Existenz verfolgt werden. Zwar ist auch hier der Konsum notwendig, aber er wird rundum natur- und gemeinschaftsverträglich gestaltet. Ressourcen müssen in Kreisläufen genutzt und recycelt werden. Luxusgüter werden hoch besteuert, während materielle Grundbedürfnisse steuerfrei sind. Statt den Aktiengesellschaften politisch immer noch zu fördern um`systemrelevante`, zentralistische Macht bzw. Kapital zu akkumulieren, werden in der Kultur der Lebendigkeit neue Organisationsformen wie Genossenschaften und andere Unternehmen gegründet, die Not-For-Only-Self-Profit sind. Privatwirtschaftliche Unternehmen haben nicht primär das Gemeinwohl im Sinn!

United Nations

Zhao Tingyang hat recht wenn er sagt, dass die westliche Welt in der Egofalle sitzt. Das zu ändern - so seine philosophische Antwort - bedeutet zu begreifen, dass wir alle unter einem Himmel leben. Dies könnte nach dem alten chinesischen Prinzip des tianxia organisiert werden (Z.Tingyang, 2020). Fest steht, dass wir darin, das Leben aller unter diesem einen Himmel nachhaltig zu organisieren, versagt haben. Zentralistisch organisierte, wachstumsverrückte Organisationen sind dafür auch völlig ungeeignet, da sie nur das Ego fördern. Schaffen wir es nicht sie vom Markt zu drängen, werden wir die Probleme unserer Zeit nicht lösen [Blogartikel am 12.11.2020 zum Scheitern der EU Agrarreform]. Scheinbar `grüne` Organisationen wie Shell, die immer noch nur nach der eigenen Macht greifen, werden sich genauso als Allesfresser entpuppen wie die Unternehmen der 1.-3. (und 4.?) industriellen Revolution.

An dieser Stelle sei an die Entstehungsgeschichte kapitalistischer, shareholderbasierter Gesellschaften erinnert. Diese Begann im Wettstreit um Kolonien zwischen mitteleuropäischen Seefahrernationen im 16. Jhd. Hier wurden Gesellschaften gegründet, die keinen anderen Zweck verfolgten als die effiziente Ausbeutung von fernen Ländern, deren Menschen und Rohstoffe. Die Levant Company, die Britische und Niederländische Ostiendien-Kompanie galten als Außenposten ihrer jeweiligen Heimat England und Holland wurden durch die Politik zuhause mit Handelsmonopolen in Übersee ausgestattet, durch die sie zu unkontrollierbaren Handelsimperien aufstiegen. Die Machtstrukturen von damals kann man mit den denen heutiger Großkonzerne vergleichen. Und die europäischen Bürger berauschten sich damals wie heute an tollen Renditen, die sie für ihre Einlagen von den skrupellosen Companies zurückbekamen.

Um den Klimawandel noch einzudämmen zu können müssen wir Suprainstitutionen nach den Prinzipien der Kultur der Lebendigkeit von oben schaffen, die grenzübergreifend, kooperativ und egalitär globale Standards für Menschenrechte, Klima- und Naturschutz definieren. Hier müssen international erarbeitete, wissenschaftliche Ergebnisse einfließen, die nicht der privatwirtschaftlichen Kommerzialisierung dienen, sondern dem Aufbau einer nachhaltigen, globalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.

Ein gutes neues Jahr 2021 wünscht Ihnen

Ihr

Benjamin Holtz

Quellen:

M. Hardt, A,Negri (2004): „Multitude. Krieg und Demokratie im Empire“

M.Noises (2014): "The End of Power"

N.Schick (2020): "Deep Fakes. Die kommende Infokalypse."

Z. Tingyang (2020): "Alles unter einem Himmel."

Lebensbaum
Elon Musk bei seiner Eröffnungsrede in Grünheide

Ergänzung B. Holtz vom 17.03.2021 zum "Stressfaktor Tesla":

Durch einen Beitrag von "Frontal 21" im ZDF wurde bekannt, dass die Tesla-GIGAFABRIK in Grünheide bei Berlin rund 3,6 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr verbraucht. Das sind rund 30 Prozent des gesamten Wasservolumens in der Region, weit mehr, als der Landstrich verkraften kann. »Die Trinkwasserversorgung wird geopfert auf dem Gabentisch der Wirtschaftspolitik« Auf dieses Problem angesprochen antwortet Elon Musk: »Im Grunde sind wir nicht in einer sehr trockenen Region. Bäume würden nicht wachsen, wenn es kein Wasser gäbe [...] Ich meine, wir sind ja hier nicht in der Wüste.«

Spiegel, vom 16.03.2021

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Kommentare

Kommentar von Dr. Holtz Sylke |

Der Blogartikel hat mich aufgewühlt. Wie Corona hält dieser Artikel uns einen Spiegel entgegen.Das Gesicht: noch trauriger. Bei Corona wird man physisch krank - man muss sich schützen -, bei diesem Wirtschaftssystem, das nun schon sehr lange herrscht, können wir auch seelisch krank werden. Früher war es der Adel; eine kleine Gruppe, die den Wohlstand nach eigenem Gutdünken verwaltete. Jetzt sind es Macht-Menschen-Gruppen, die dieses tun. Wir Menschen haben kaum noch Einfluss. Ich bin 73 Jahre alt und manchmal denke ich - man kann das hier so flapsig sagen -,ich würde am Liebsten eine Granate werfen....aber auf wen? Der Einzelmensch ist so machtlos wie noch nie - trotz anderweitiger Beteuerungen und allen Gesetzen zum Trotz.
Da bleibt nur der Traum, der sich aber, ich könnte es schwören, bald verwirklichen wird: die brüderliche Gesellschaft wird kommen im Gleichschritt mit der Ansicht der Natur als Freundin, als Gottesgeschenk.
Das ist ein "muß" der Evolution. Diese wird sich durchsetzen. Ich werde das noch erleben.
Der Verfasser ist weitsichtiger als er denkt.

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